8
Mai
2014

das dunkle Geheimnis von Wolfenbüttel


Wolfenbüttel, Lange Herzog Straße


Wunderschön, heute hat sich die Cousine den ganzen Tag frei genommen, um uns ihr persönliches Wolfenbüttel zu zeigen. Zusammen sind wir die Adersheimer Straße hinunter gewandert, um hinter der Wilhelm Raabe Schule nach dem Bauernhof von Großvater zu suchen.
Nichts!
Ein riesiger Parkplatz von Toom Baumarkt hatte ihn dahin geplättet. Lidl und das Dänische Bettenlager hatten ihn den Garaus gemacht. Ein Edeka-Markt da, wo einst die Hühner pickten.
Ich hatte Tränen in den Augen.
Von der Schienen-Trasse war gar nicht mehr vorhanden. Hier fuhr damals ein Güterzug.
Hast Du das auch schon mal erlebt? Einen Ort gibt es nur noch in Deiner Erinnerung? Schreibe mir!

Zurück in der Langen Herzog Straße sprach ich die Cousine auf ein seltsames Phänomen an: die alten Fachwerkhäuser sind unten meistens hui, oben aber pfui! Ja, meinte sie, das würden die einfachen Touristen, die nur für eine Woche durch die Stadt streiften, nicht bemerken. Für das Erdgeschoss kann man leicht eine der üblichen Verkaufsketten gewinnen. Doch in die oberen Etagen will niemand einziehen. Denn es gelten strenge Bauvorschriften aus dem Denkmalschutz. Zum Beispiel müssen die Fenster immer zweiflügelig sein und nach draußen aufgehen. Und dann sind die Räume für moderne Ansprüche doch sehr eng und niedrig.
Das kann ich mithilfe des Deckenbalkens im Alt Wolfenbüttel bestätigen!
Daher sind die oberen Etagen Abends immer im Dunkeln! Deshalb wirken die Straßen im Zentrum nach Ladenschluss so leblos!
Als wir uns aber gerade mit Tante Helena und Onkel Walter in einer Konditorei getroffen haben, war alles voller herzlichem Leben!

Passend zu der Eingangszene möchte ich einen entsprechenden alten Tagebuch-Eintrag hinzufügen, ich war damals 17 Jahre alt:
"Sonntag, 07.April 1974
Erstmal wurde mit Großvater der Bauernhof besichtigt.
Rufus bellte wie üblich dreimal den Hahn an, das arrogante Viech schaute nicht einmal in unsere Richtung; dann ging es durch lange Reihen mit Bohnenstangen, an denen sich zaghaft ein helles Grün empor schlängelte, hinunter zu den Feldern.
Wir hatten Glück, auf der eingleisigen Trasse von den Schlachthöfen, Richtung Salzgitter, fuhr gerade ein Güterzug vorbei, gezogen von einer DR 52. Ich winkte hinüber, natürlich sah mich der Lokführer nicht, obwohl er seinen Kopf aus der Fensterluke hielt. Fauchend setzte er ein Warnsignal ab, nicht wegen mir, sondern wegen des kleinen, unbeschrankten Feldweges vor Fümmelse.
Vom Fümmelser Holz hallte es wie ein übermächtiger Walruf zurück. Schwarzer Rauch stieß stoßweise
aus dem Dampfdom, dem Gestänge entwich zischend weiße Pressluft. Der leichte Wind aus nördlicher Richtung trieb das dumpfe Hämmern der Kolben herüber.
Ich liebe Dampflokomotiven, vor einigen Jahren noch orientierte ich mich beruflich in diese Richtung.
Früher war der Bahndamm sehr viel weiter entfernt gewesen, auch die Kirchturmspitze von Fümmelse
hatte irgendwo hinterm Horizont empor geragt. Heute war alles näher gerückt und kleiner geworden. Das Fümmelser Holz lag nicht mehr drohend und mächtig im Süden. Komisch, wie sich die Wahrnehmung im Laufe der Zeit änderte. Müsste man mal untersuchen.
Wo letztes Jahr Porree gestanden hatte, waren nun Möhren gepflanzt.
„Gut beobachtet, mein Junge!“
„Du baust also immer das an, was sich auf dem Markt am besten verkaufen lässt, oder?“
„Nein, in die Zukunft kann ich auch nicht sehen!“ Er schaute lächelnd dem kleiner werdenden Zug nach. „Auf ein Feld mit Erdbeeren kommen im Folgejahr Kartoffeln. Dann Möhren, dann wird es für ein Jahr an die Schafe vermietet. Aber erzähl das bloß keinem weiter!“
„Dass du Verträge mit Schafen machst?“
Er lachte. „Den Handschlag mache ich mit dem Schäfer. Nein, die Fruchtfolge ist mein Geheimnis, die habe ich ausbaldowert!“
„Was gibt es da auszubaldowern, was für ein komisches Wort!“
„Kommt aus dem Krieg, wenn es um etwas Fressbares geht. - Man pflanzt da nicht wild drauflos, das will gut überlegt sein!“
„Dann ist selbst ein Bauer ein Wissenschaftler? – Entschuldige, aber du bist in meinen Augen ja ein Seefahrer!“
„Ganz recht mein Junge!“ Er klopfte mir auf die Schulter. „Ein Seefahrer, der gestrandet ist!“ Er schaute weit hinaus übers Land, man ahnte die Dampfwolke nur noch. „Egal um was es geht, wenn man es richtig machen will, kann es zu einer Wissenschaft werden. Ob du eine Dampflok fährst, eine Gitarre spielst, ein Schiff um das Kap der Guten Hoffnung lenkst oder Saatkartoffeln setzt. Man sollte alles mit Liebe machen, sonst kann man es auch gleich bleiben lassen!"



bleibe mir gewogen,
Klaus

begleitendes Tagebuch zum Film ICH AN MICH. The MAKING OF:
https://www.ICHANMICH.blogspot.com
https://www.youtube.com/user/Klauswib/videos
https://www.ich-an-mich.de/
ich-an-mich(Klammeraffe)arcor.de
Klaus

ICH AN MICH

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